Samstag, 30. Juli 2011
Strahlende Zukunft für Europa?
Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima wird nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa wieder heftig über die Atomkraft diskutiert. So streitet die Europäischen Union aktuell, ob alle Atomkraftwerke neuen Tests unterzogen werden sollen und vor allem nach welchen Standards diese auf eventuelle Gefahren getestet werden müssen. Deshalb haben wir mit unserem Gast Hermann Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) über die „Europäische und deutsche Atompolitik“ gesprochen.
Hermann Kuhn
Kuhn ist Mitglied der Bremischen Bürgerschaft (BB) und stellvertretendes Mitglied im europäischen „Ausschuss der Regionen“ (AdR). Zudem ist er innerhalb des AdR Präsident der „Intergroup Nordsee und Ärmelkanal“ und ehrenamtlicher Landesvorsitzender der „Europa Union e.V.“ in Bremen. Die Biografie Hermann Kuhns liest sich wie viele andere von denen, die heute bei der Partei „Die Grünen“ die führenden Köpfe sind. Nach seinen „turbulenten Studienzeiten“ - Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) – in Kiel, schloss er 1971 das Studium für Lehramt ab. Von 1974 bis 1977 arbeitete er als Lehrer in Brinkum, war dann jedoch mit „Berufsverbot“ aufgrund des Radikalenerlasses belegt. Grund hierfür war seine Mitgliedschaft und Kandidatur für den „Kommunistischen Bund Westdeutschlands“ (KBW). „Die 80er Jahre waren meine Gewerkschaftszeit“, sagt Kuhn selbst. Ab 1981 arbeitete er als Schriftsetzer bei der Bremer Tageszeitungen AG und war, bis zu seinem Vorruhestand 2005, dort Vertrauensmann und Betriebsrat. 1991 zog Kuhn als parteiloser in die BB ein und wurde im selben Jahr Mitglied der Partei „Die Grünen“. Für die Partei saß er von 1991 bis 2003 und ab 2007 wieder im Bremer Landesparlament.
Atom-Politik
Für die Überwachung und Koordination atomarer Energie ist in Deutschland das Bundesumweltministerium (mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen), das Bundesamt für Strahlenschutz, die Strahlenschutzkommission, die Reaktorsicherheitskommission und der Kerntechnischen Ausschuss zuständig. Gesetzlich verankert ist die Nutzung von Kernenergie im deutschen Atomgesetz, welches 1960 in Kraft trat.
Auf europäischer Ebene sind die Europäische Atomgemeinschaft, der Rat für Verkehr, Telekommunikation und Energie, sowie der Europäische Kommissar für Energie, Günther Öttinger, zuständig. Rahmenbedingungen zur Nutzung der friedlichen Kernenergie, sowie die Forschung und Aufteilung von EU Mitteln sind im Euratom-Vertrag verankert.
Nach einer Einführung in die Thematik diskutierten wir mit Hermann Kuhn über das deutsche und europäische Verhalten nach dem Unglück in Fukushima, die Arbeit der Energielobbyisten und Volksabstimmungen zur deutschen Atompolitik. „Der deutsche Atomausstieg wurde mit dem Atomkonsens bereits eingeläutet“, so Kuhn. Gesetzlich festgehalten wurde das durch die Novellierung des Deutschen Atomgesetztes 2002. Zuvor stand die Subventionierung der Atomenergie im Gesetz. Nach der Katastrophe in Fukushima und der Verlängerung der befristeten Regellaufzeit, durch die schwarz-gelbe Koalition 2010, sei es eine erforderliche Konsequenz diesen großen Fehler nun zu bearbeiten. „Das Moratorium kann dabei nur ein Anfang sein und fest definierte Stresstests eine Sicherheitsmaßnahme aber keine Lösung“.
Die neuste politische Entwicklung zum Thema Atomenergie zeigt auch, dass die größeren Parteien, die zuvor immer für Atomenergie stimmten, „inzwischen die Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht, ernst nehmen“. Ebenfalls zeige die unzureichende Versicherung von Atomkraftwerken in Deutschland, wie hoch die Gefahren seien und dass sie gar nicht richtig eingeschätzt werden könnten.
Trotz der Katastrophe in Fukushima setzt die Mehrheit der europäischen Länder weiterhin auf Atomenergie und will sie sogar weiter ausbauen. Deutschland tritt somit auf europäischer Ebene einer Minderheit bei, die den Atomausstieg plant oder gar ganz auf Atomenergie verzichtet, wie zum Beispiel Österreich. Nach Fukushima sollen die europäischen Atomkraftwerke freiwilligen Stresstests unterzogen werden. „Es müssen einheitliche Stresstests vollzogen werden. Die Mitgliedsländer müssen sich nicht freiwillig dazu bereit erklären dürfen, das reicht nicht.“ Ein weiteres Problem beim Atomausstieg sind wirtschaftliche Faktoren. Zum einen wollen europäische Mitgliedsstaaten wie Tschechien unabhängig Strom beziehen können und andererseits üben auch die großen Energieproduzenten teilweise erheblichen Druck auf die Regierungen aus. „Es müsse ein europäisches Abkommen geben, welches die Energieversorgung unter den Mitgliedsstaaten regelt.“
Auch die Idee der Volksabstimmungen beim Thema 'Nutzung von Atomkraftwerken“ wurde diskutiert. Hermann Kuhn begrüßte diese Idee. Auch in anderen Ländern hatten Volksabstimmungen gezeigt, dass viele Menschen keine Atomenergie haben wollten.
Kriminalität, E-Learning und die EU-Politik
Das Projekt CHANCE
Das Projekt CHANCE startete am 1.11.2000 und befindet sich seit 2011 in der vierten Phase. Es handelt sich um einen Projektverbund der sich für die Integration und Betreuung von Sträflingen einsetzt. Dies findet sowohl innerhalb, als auch außerhalb der JVA statt. Das Ziel dieses Projekts ist die berufliche sowie soziale Wiedereingliederung in die Gesellschaft von ehemaligen Insassen. Aufgrund von Arbeitsmarktferne muss für die Gefangenen eine Beschäftigungsfähigkeit hergestellt werden. Es bedarf einer systematischen Strukturierung des Übergangs von der Haft in die Freiheit, sowie eine intensive Betreuung nach der Entlassung. Nach Antritt der Haftstrafe wird eine Behandlungsuntersuchung gemacht, dazu gehört eine berufliche Anamnese und ein Schultest. Dies wird ausgewertet und es entsteht eine individuelle Integrationsplanung. Ziel des ganzen ist die Beschäftigungsfähigkeit wiederherzustellen. Die Förderung beinhaltet eine berufliche und soziale Eingliederung. Bei den Entlassungsvorbereitungen findet eine ausführliche Beratung statt und weitere Schritte werden hier individuell besprochen. Nach der Entlassung erfolgt ebenso eine Nachbereitung im Netzwerk. Zwei der Teilprojekte von CHANCE sind das DPA (Diagnose, Profiling, Assessment) und das Computerrefurbishment. In diesen Projekten erlernen die Gefangenen in kleinen Gruppen Tätigkeiten innerhalb weniger Monate. Die zu verrichtenden Arbeiten sind individuell auf die Insassen zugeschnitten und geben ihnen die Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung.
E-Learning:
Während außerhalb der JVA-Mauern fast schon jedes Kind mit einem PC umgehen kann und das Internet bedienen kann, dient der Computer (wenn vorhanden) für viele Inhaftierte nur als Spielkonsole und nicht als Arbeitsinstrument. Mit diesem Teilprojekt soll den Gefangenen aber ein Grundwissen im EDV-Bereich und der PC als Arbeitsinstrument näher gebracht werden. Aus diesem Grund werden die Module IT-Grundlagen, Betriebssystem Windows XP, Textverarbeitung MS Word und die Tabellenkalkulation MS-Excel unterrichtet. Im Rahmen des Textverarbeitungs-Moduls werden außerdem eine professionelle Bewerbungsmappe erstellt und Bewerbungstrainings durchgeführt, um für die spätere Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt eine Basis zu schaffen.
Durch Lehrer, aber auch durch das sog. „E-Learning“ (180 verschiedene Lernprogramme) wird der Stoff vermittelt. Zunächst wird durch die Lehrer festgestellt, welche Lernbedürfnisse oder Defizite ein/e Gefangene/r hat, um das Lernprogramm dann darauf anzupassen. Dies hat zum Vorteil, dass jeder Inhaftierte in seinem eigenen Tempo arbeiten kann. Daraus ergibt sich auch die Feststellung, dass schnellere Lernerfolge erreicht werden können und nicht jemand im Unterrichtsstoff „nicht mit kommt“. Somit lernen die Gefangenen auch sich selbst einzuschätzen. Fragen wie „Wie lange brauche ich für eine Aufgabe?“ oder „Welche Aufgaben kann ich am Besten?“ können durch das selbständige Arbeiten eingeschätzt und beantwortet werden.
Innerhalb des Projekts (und auch sonst nicht innerhalb der JVA) wird den Gefangenen kein Internetzugang gewährt. Dies ist eine Sicherheitsmaßnahme, um z.B. einem Gefangenen es nicht zu ermöglichen, aus dem Gefängnis heraus weiterhin illegale Geschäfte zu betreiben oder anderen Menschen zu drohen o.ä. Natürlich gibt es immer ein gewisses Sicherheitsrisiko, da immer mal wieder versucht wird, einen Internetzugang und damit Kontakt nach Draußen zu erreichen.
Nicht nur die Vermittlung von Unterrichtsstoff, sondern auch das eigenständige Arbeiten und Lernen an Computern findet bei den Inhaftierten im Rahmen dieses Projekts statt.
Beschäftigungsprojekte nach der Haft:
Auch nach der Haft gibt es Maßnahmen im Rahmen des Übergangmanagements. Dazu zählen das sozial-integrative Modul des Förderwerkes und die Bildhauer Außenwerkstatt des Vereins Mauern Öffnen e.V., welche den ehemaligen Strafgefangenen die Möglichkeit auf eine Injobstelle (1€-Job) bietet. Weiterhin gibt es die Berufshilfe Bremen, die ehemalige kurz vor der Entlassung stehende Inhaftierte betreut, indem ihre Beschäftigungsfähigkeit aufrechterhalten beziehungsweise wieder hergestellt werden.
Einen weiteren Bereich des Übergangsmanagements stellt das KompetenzCentrum dar. Dies ist eine Anlaufstelle, in welcher sich soziale, juristische und arbeitsrelevante Angelegenheiten unter einem Dach befinden, sodass sich die Klienten an ausschließlich eine Stelle wenden müssen, wo sie dann an den zuständigen Mitarbeiter weitergeleitet werden. Um eine arbeitsmarktrelevante und individuelle Qualifizierung der Teilnehmer zu realisieren, wird ihnen ein breites Spektrum an Injobstellen angeboten sowie verschiedene Kurse im Freizeitbereich und Qualifizierungsangebote, wie zum Beispiel EDV-Grundlagen und Bewerbungshilfen. Nach der Einschätzung der Teilnehmer, erzielt ein Großteil von ihnen durch diese Maßnahme Erfolge, indem sie ihre Stärken und Schwächen besser einschätzen können und sich ihre beruflichen Aussichten verbessern.
Während seiner zehnjährigen Laufzeit konnte das Projekt Chance eine deutliche Verbesserung der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung von (ehemaligen) Strafgefangenen erreichen. Zu ihren wichtigsten Erfolgen zählen sie, dass die Wiedereingliederung durch die Projektarbeit an Bedeutung gewonnen hat und, dass sich innerhalb des Projekts ein immer größeres und enger werdendes Netzwerk aus unterschiedlichen Hilfesystemen geschaffen wurde. Weiterhin sehen sie einen Erfolg durch den Aufbau des KompetenzCentrums, denn so konnte ein zentraler Beitrag zur Weiterentwicklung der Wiedereingliederungsstrategie geleistet und die Resozialisierungsarbeit erweitert werden.
Die Lage des Euro
Wie es zur Euro-Einführung kam…
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm alles seinen Lauf. Die meisten Währungen der Industrieländer wurden nach dem Bretton-Woods-System eng mit dem Dollar verbunden. Die Vorherrschaft des Dollar und die erzwungene Abwertung mehrerer europäischer Währungen veranlassten die europäischen Politiker unter anderem dazu, das Ungleichgewicht zwischen dem Dollar und den europäischen Währungen durch eine größere wirtschaftliche Integration auszugleichen. 1979 wurde daher das Europäische Währungssystem (EWS) eingeführt, das innerhalb von zehn Jahren für eine große Ausgewogenheit zwischen den Währungen sorgte. 1992 wurde dann mit dem Vertrag von Maastricht die Währungsunion eingeleitet. Inhalt dieses Vertrages war ein Drei-Stufen-Plan zur Einführung des Euro, dessen Ziel es war, eine vollständige Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen.
Die erste Notierung des Euro fand am 4. Januar 1999 in Frankfurt statt. Damals war ein Euro 1,11789 Dollar wert. Am 1. Januar 2002 wurde der Euro als Bargeld in den Ländern Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Portugal und Spanien eingeführt. 2007 kam Slowenien, 2008 kamen Malta und Zypern und 2011 Estland und die Slowakei dazu.
Damit ein Land den Euro überhaupt einführen darf, müssen bestimmte Kriterien zur Bewertung der wirtschaftlichen Stabilität erfüllt sein. Die so genannten Konvergenzkriterien besagen, dass die jährliche Neuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des BIP und die Gesamtverschuldung eines Staates nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen darf.
Vor- und Nachteile des Euro
Ein klarer Vorteil der Euro-Einführung ist, dass innerhalb der EU kein Geld mehr umgetauscht, beziehungsweise zurückgetauscht werden muss. Einzige Ausnahmen sind: Rumänien, Bulgarien, Lettland, Schweden, Dänemark, Litauen, Tschechien, Ungarn, Polen und Großbritannien. Zudem gibt es Staaten, wie zum Beispiel Monaco und San Marino, die, obwohl sie nicht in der EU sind, trotzdem den Euro eingeführt haben. Das lässt sich auf ihre engen Währungsbeziehungen mit Frankreich und Italien zurückführen.
Weitere Vorteile sind, dass EU-interne Wechselkursschwankungen wegfallen und es eine Preistransparenz gibt. Soweit das Reiseland innerhalb der Eurozone liegt, können die dortigen Preise ohne weiteres mit denen im Herkunftsland verglichen werden.
Außerdem hat der Euro nicht nur einen Geld-, sondern auch einen symbolischen Wert. Oft tritt die Arbeit der EU nicht sichtbar in Erscheinung, sondern bleibt hinter Rechtstexten und langen Berichten verborgen. Der Euro ist jedoch greifbar, so dass die Einwohner der EU sich mit ihm identifizieren können. Der Euro fördert außerdem die europäische Integration, da er die Zusammenarbeit der europäischen Staaten sowohl wirtschaftlich, als auch politisch manifestiert. Des Weiteren stellt er eine glaubwürdige Alternative zum Dollar dar.
Aber die Euro-Einführung hat auch Nachteile mit sich gebracht. So muss weiterhin in einigen Ländern Geld umgetauscht werden, da diese, wie bereits erwähnt, an ihren nationalen Währungen festhalten. Großbritannien, Dänemark und Schweden haben sich bewusst dazu entschlossen und können aufgrund einer Ausnahmeregelung auch nicht dazu gezwungen werden, den Euro einzuführen.
Zudem hat die Euro-Einführung wirtschaftliche Einschränkungen mit sich gebracht, da die 27 EU-Mitgliedstaaten sich an den Stabilitäts- und Wachstumspakt halten müssen. Deutschland hat sich, an diesen Pakt angelehnt, sogar eine Schuldenbremse auferlegt. Diese ist im Grundgesetz verankert und besagt, dass die Haushalte des Bundes ab 2015 und die der Länder ab 2019 grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auskommen müssen. Frankreich eifert diesem Prinzip nach und will Pläne für eine gesetzlich verankerte Regelung der Staatsschulden vorantreiben.
Die Europäische Zentralbank (EZB) kann, obwohl die Inflationsraten in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Eurozone stark variieren, nicht auf nationale Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Sie muss versuchen, die beste Geldpolitik für die gesamte Eurozone zu betreiben. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass die EZB-Politik für einige Staaten unpassend ist.
Außerdem brachte die Euro-Einführung kulturelle Einbußen mit sich. Mit der Einführung der einheitlichen Währung verschwanden die nationalen Währungen, so dass ein Stück der jeweiligen Kultur verloren ging.
Die aktuelle Lage des Euro
Griechenland als größter Europäischer Schuldensünder, sowie Irland und Portugal sind aktuell hoch verschuldet und daher auf Hilfe anderer Euro-Länder angewiesen. Als Reaktion auf die drohenden Pleiten einiger Staaten hat die EU einen Rettungsschirm (EFSF) eingerichtet. Hierbei unterstützen starke Euro-Länder, wie Deutschland oder Österreich, schwache Länder mit insgesamt 750 Milliarden Euro. Derzeit greift der EFSF für Irland und Portugal.
Griechenland bekam sowohl Gelder aus einem Notfallfonds der EU-Länder, als auch Gelder aus dem Internationalen Währungsfonds. Erst genannter Fond umfasst rund 80 Milliarden Euro. Weitere zwölf Milliarden sollen folgen, um die drohende Pleite des griechischen Staates abzuwenden.
Aktuell hat die Meldung, Griechenland verlasse die Eurozone, die Währung in eine Schieflage gebracht. Obwohl diese Nachricht am selben Tag offiziell dementiert wurde, verlor der Euro mehrere Cent gegenüber dem Dollar. Als Grund für den Austritt wurden die immensen Schulden Griechenlands genannt.
Lösungsmöglichkeiten der Euro-Krise und politische Meinungen
Die hohe Verschuldung Griechenlands hat die Diskussion um den Euro noch einmal verstärkt. Experten und Politiker haben daraufhin verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Entschärfung der Euro-Krise entwickelt.
Die einen verlangten den Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion – allerdings ist dies in den Verträgen nicht vorgesehen. Deshalb forderte Angela Merkel im März 2010 die Verträge dahingehend zu ändern, dass es möglich wäre, sich von einem Mitglied der Währungsunion auch gegen dessen Willen zu trennen.
Die Franzosen wünschen sich dagegen eine größere Gemeinsamkeit der Wirtschaftspolitik, die durch eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung sichergestellt werden könnte.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erhofft sich einen Europäischen Währungsfond, der nach seinen Ideen dafür sorgen soll, dass finanzschwache Staaten zu günstigeren Konditionen an Geld kommen. Im Juli 2013 könnte schon der neue, dauerhafte Euro-Hilfsfond (ESM) starten. Dieser würde den EFSF ablösen. Der EU-Gipfel im Juni soll den Vertrag beschließen. Vorgesehen ist, dass er 700 Milliarden Euro umfasst. Der deutsche Beitrag würde 22 Milliarden Euro in bar und 168 Milliarden Euro an Bürgschaften betragen.
Euro-Krise hin oder her - Fakt ist: Die Währung ist für eine Volkswirtschaft der Blutkreislauf – ohne Geld kann sich eine Gesellschaft wirtschaftlich nicht entwickeln. Aber kann eine Währungsunion tatsächlich Bestand haben, wenn ihr kein Wirtschaftsgebiet mit einheitlichen Regelungen, zum Beispiel im arbeitsrechtlichen oder sozialen Bereich, zugrunde liegt.
Mittwoch, 18. August 2010
„Wie bürgernah / bürgerfern ist Europa?“
Von Panajotis Gavrilis und Larissa Hoppe
Unser Gast in der Gesprächsrunde war Hermann Kuhn. Er ist Abgeordneter für die Grünen in der Bremer Bürgerschaft und Mitglied im Ausschuss „Europa der Regionen“. Außerdem ist er ehrenamtlicher Landesvorsitzender der Europa Union.
Nach seinem Abitur belegte er sein Studium und absolvierte sein Staatsexamen für Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Anschließend folgte ein Referendariat in Bremen.
Von 1974 bis 1977 war er Lehrer in Brinkum. Wegen seiner Aktivität beim Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW), von 1973 bis 1982, bekam er aber ein Berufsverbot. Ab 1980 war er bei der Bremer Tageszeitung AG, von 1984 als Mitglied des Betriebsrates. 1989 promovierte Hermann Kuhn an der Bremer Universität.
Bereits von 1991 bis 2003 war er Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft für die Grünen; ab 1995 als einer der Vizepräsidenten. Nach einer Pause wurde er 2007 als Abgeordneter wiedergewählt.
Grundsatzfragen des Gesprächs waren: Wie ist Europa bei den Bremer BürgerInnen angekommen? Wie groß sind die Anstrengungen, auf der lokalen Ebene Europa etwas näher zu bringen? Was hat die EU bisher im Positiven erreicht, wie sieht ihre Zukunft aus und wo liegen ihre Grenzen?
Aus gegebenem Anlass wurde auch die Griechenland-Krise thematisiert.
Doch zu Beginn: Was hat Hermann Kuhn dazu gebracht, sich so sehr mit dem Thema „Europa“ auseinander- und auch dafür einzusetzen?
Vor allem die deutsche Geschichte mit ihren Kriegen und mit dem Fall der Mauer 1989 waren Auslöser für die bewusste Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern. Europa ist mehr als nur ein rentables Instrument für den Binnenmarkt. Europa bedeutet für Hermann Kuhn in erster Linie kultureller Austausch, mehr Kommunikation und Verständnis zwischen den Mitgliedsstaaten und so eine langfristige Friedenssicherung.
Hermann Kuhn sagt heute: „Wir sind in Europa.“ Trotz einer sehr geringen Wahlbeteiligung ist er sich sicher, dass Europa bei den BürgerInnen ein Thema ist und auch angenommen wird. Schließlich haben mehr BundesbürgerInnen Vertrauen in das Europäische Parlament als in den Deutschen Bundestag. Nichts desto trotz. Das Europäische Parlament, Brüssel als Herzstück Europas, liegt weit weg.
Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Stimme unter all den Meinungen wenig zählt und wenig bewegen kann. Hinzu kommen Vorwürfe, dass Europa an den Interessen der BürgerInnen vorbei entscheidet, beispielsweise bei den Agrarsubventionen für LandwirtInnen. Dem hält Hermann Kuhn entgegen, dass das Europäische Parlament grundsätzlich bemüht sei, sich an den Interessen der Bevölkerung aller 27 Mitgliedsstaaten zu orientieren. Dies würde aber nicht immer ohne langwierige Diskussionen, Kompromisse und Zeitverzögerungen gehen. Diese kollegiale Argumentationsarbeit findet er grundsätzlich aber sehr gut, denn nur so können Beschlüsse gefasst werden, die im Sinne aller, beziehungsweise der meisten sind. Auch die Machtaufteilung auf das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, die Europäische Kommission und nachkommende Ämter ist sinnvoll.
Sie verhindert einen Machtmissbrauch und die bloße Verfolgung von eigenen Interessen.
Auf lokaler Ebene erwartet Hermann Kuhn mehr Eigeninitiative von den Bürgerinnen und Bürgern. Seiner Meinung nach liegt es nicht nur bei den PolitikerInnen, Europa schmackhaft zu gestalten. Auch die BürgerInnen müssten sich über die EU zu Hause informieren wollen. Hermann Kuhn sieht sich also in der Rolle des Vermittlers. Durch sein Engagement versucht er Europa und das was passiert den Menschen verständlich zu machen, sie zu informieren und so Europa ein Stück näher zu bringen – ganz ohne falsche Euphorie. Aber dies kann aus seiner Sicht nur funktionieren, wenn BürgerInnen gewillt sind, aktiv auf das Thema zuzugehen.
Zusammenfassend lässt sich aus seiner Sicht heute sagen, dass die politische Bedeutung der Euuropäischen Union längst bei den BürgerInnen angekommen ist, nur von vielen noch nicht so stark wahrgenommen wird. Dies liegt an einer Fehleinschätzung bezüglich der Bedeutung, sowohl hinsichtlich der europäischen Beschlüsse, als auch der BürgerInnenmeinung, sowie an mangelndem Interesse und Eigeninitiative vieler.
Aus aktuellem Anlass wurde auch das Thema Griechenland und dessen Staatsbankrott aufgegriffen. Hermann Kuhn sprach sich deutlich für einen Kredit für das bankrotte Griechenland aus. Dies, um die Märkte der Eurozone zu stabilisieren, und so die Europäische Union dauerhaft zu stabilisieren und zu stärken. Diese Unterstützung müsse allerdings an unbedingt zu erfüllende Auflagen gebunden sein. Grundsätzlich sieht er eine Chance in dem Risiko Griechenland zu unterstützen. Die Europäische Union hat die Möglichkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Sparziele in Zukunft konsequenter durchzusetzen.
Im positiven Sinne hat die EU die Kommunikation zwischen den Nationen gefördert. Kultureller Austausch und eine gemeinsame Entwicklung tragen zu einer starken Eurozone bei. Grenzen sind Europa nach wie vor bezüglich der Verabschiedung von allgemeingültigen Gesetzen und Beschlüssen gesetzt. So sind und bleiben manche Themen nach wie vor Ländersache, beispielsweise Bildung. Hier stellt sich die Frage, inwieweit das Europäische Parlament seine Zuständigkeiten ausbauen sollten, wobei Hermann Kuhn darauf verweist, dass nicht alles in Brüssel entschieden werden sollte, damit nationale, regionale und lokale Unterschiede weiterhin Beachtung finden.
Trotz der wirtschaftlichen Krise und der damit verbundenen sozialen Problemfelder in der Gesellschaft ist Hermann Kuhn zuversichtlich, dass Europa diese Hürde meistern wird. Krise bedeutet manchmal eben auch Chancen, für Veränderungen.
Für die EU eben die, sich den BürgerInnen Stück für Stück weiter anzunähern.
Ein europäischer Bürger, ein Europa der Bürger
Von Necla Süre
Im Reisebüro „Gela Reisen“ hat sich eine Menschenschlange gebildet. Valeria Marinenko, eine in Litauen geborene Russin, steht auch an. „Der nächste, bitte“. Valeria Marinenko nimmt Platz. Wo soll’s denn hingehen, fragt die junge Reiseverkehrskaufrau freundlich. „Nach Moskau“ lächelt die litauische Russin. „Dann bräuchte ich noch Ihren Ausweis, den Sie zur Beantragung des Visums hier lassen müssen“, sagt die junge Dame. Valeria Marinenko kramt aus ihrer Handtasche Ausweis und Portemonnaie hervor, bezahlt ihren Flug und verlässt das Reisebüro. Drei Wochen später kann sie ihren Ausweis und das Visum abholen.
Valeria Marinenko wurde am 29.07.1970 als Kind einer russischen Familie in der Hafenstadt Klaipeda, Litauen geboren. Ihr Großvater, ein Offizier hatte sich aufgrund seines Postens zur Zeiten der Sowjetunion in Litauen niedergelassen. Klaipeda war in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen das Zentrum des Memellandes.
Seit zehn Jahren lebt die litauische Russin in Deutschland. Ihr 18-jähriger Sohn, aus ihrer geschiedenen Ehe lebt weiterhin bei der Familie seines Vaters in Litauen. Während der ersten Jahre in Deutschland hat Valeria Marinenko ihre Familie in Litauen nicht besucht. Doch seit Litauen Mitglied der Europäischen Union (EU) ist und seither besucht sie ihren Sohn regelmäßig. „Seitdem Litauen der EU beigetreten ist, sind die Grenzen gelockert worden, d.h. ich muss nicht mehr wochenlang auf das Visum warten und kann jederzeit einen Flug buchen, ohne mir weitere Umstände machen zu müssen“.
Seit dem 01.Mai.2004 ist Litauen ein Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die EU-Erweiterung 2004 war die fünfte und bisher größte Erweiterung der EU überhaupt. Die letzte EU-Erweiterung erfolgte 2007, es traten Rumänien und Bulgarien der EU bei.
Am 9. Mai 1950 stellte der französische Außenminister Robert Schuman erstmals das Konzept vor, das zur Europäischen Union führte.
Im Zuge der europäischen Einigungsbewegung seit Ende des zweiten Weltkrieges unterzeichneten 1951 die Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, auch Montanunion genannt.
1957 wurden mit den Römischen Verträgen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) gegründet. Ziel der EWG war die Schaffung eines gemeinsamen Marktes. Zudem wurden eine gemeinsame Außenhandelspolitik und eine gemeinsame Agrarpolitik beschlossen. Die Organe der drei Gemeinschaften EGKS, EWG und EURATOM wurden 1967 zur Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengelegt. Mit dem Vertrag von Maastricht von 1992 wurde die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union. Am 13. Dezember 2007 wurde der Lissaboner Vertrag in Lissabon von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten unterzeichnet und trat am 1. Dezember 2009 In Kraft.
Heute besteht die Europäische Union aus 27 Mitgliedstaaten
Einer der wichtigsten Punkte, die der Vertrag von Lissabon beinhaltet, lautet wie folgt:
„Ein Europa der Rechte und Werte, der Freiheit, Solidarität und Sicherheit, das die Werte der Europäischen Union fördert, die Charta der Grundrechte in das europäische Primärrecht einbindet, neue Instrumente der Solidarität vorsieht und die europäischen Bürger besser schützt“.
Die EU und ihre Entwicklung fußt auf der Idee ein politisches und wirtschaftliches gemeinsames Europa zu schaffen.
Es entstand aber nicht nur die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, sondern die Gemeinschaft zog eine gewachsene Vielfalt an Kulturen, Mentalitäten und Sprachen nach sich. Es soll aus den vielen verschiedenen religiösen, philosophischen, politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Strömungen eine gemeinsame europäische Identität entstehen.
Valeria Marinenko lebt heute im Bremer Stadtteil Neustadt. Hier trifft man auf eine Vielfalt an Nationalitäten, Mentalitäten, Religionen etc., die diese Gemeinschaft mit sich bringt. Die sich heute als Europäerin betrachtende 40-jährige mit litauisch-russischem Migrationshintergrund fühlt sich in Deutschland, vor allem in Bremen wohl. „Ich bin in Litauen als Russin geboren, also war ich und wurde ich dort immer als Ausländerin betrachtet und benachteiligt. Wenn ich nach Russland flog, war ich auch immer Ausländerin, wegen meines litauischen Passes. In Deutschland aber bekomme ich mit meinem litauischen Pass nicht das Gefühl, eine Ausländerin zu sein. Ich wurde weder in Litauen noch in Russland akzeptiert. Aber hier, hier gibt es viele Ausländer. Hier fühle ich mich wohl. Hier fühle ich mich und bin ich eine Europäerin“.
Valeria Marinenko fühlt sich also als europäische Bürgerin. Ein Europa der Bürger, eine Bürgerin in Europa. Neben dem Entstehen einer gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Identität, wird auch die Vielfalt an Kulturen, Mentalitäten und Sprachen akzeptiert und toleriert, auch wenn das im Einzelnen nicht immer der Fall ist.
Es darf nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Religion auf Ausgrenzung stoßen, was der Charta der Grundrechte widersprechen würde. Die grundsätzliche Umsetzung und Ausformung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit müssen weiterhin im Zentrum der Gestaltung einer Europäischen Union stehen. Schon allein die Lockerung der Grenzen zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zeigt ein Bild oder vermittelt den EU-Bürgern das Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Für Valeria Marinenko geht es bald in Richtung Moskau, um ihre Familie dort zu besuchen, doch da Russland kein Mitgliedsstaat ist, wird das Visum noch einige Wochen auf sich warten lassen.
Polen – Heimat und Verschmelzung zwischen West- und Osteuropa
Von Joanna Lawrynowicz
Ich bin in Polen geboren. Meine Eltern sind Ende der Achtziger Jahre nach Deutschland gekommen. Sie haben im Vergleich zu den meisten Polen, die in Deutschland leben, keine deutschen Vorfahren. Sie sind vor dem Kommunismus geflohen. Damals war ich zwei Jahre alt. Ich habe mich gut integriert, was ich zum Beispiel von meinem Vater weniger sagen kann.
Ich habe die Sprache gelernt, einen anständigen Schulabschluss gemacht und einen Beruf erlernt. Jetzt studiere ich.
Ich hatte einen polnischen Pass, da ich ja auch polnische Staatsbürgerin war. Als Kind war es egal. Doch dann fing es an, irgendwie nervig zu werden. Ich wollte mir als Jugendliche ein bisschen dazu verdienen. Bei den Arbeitgebern hieß es dann: „Ich brauche eine Arbeitserlaubnis von Ihnen“.
Ich musste ständig mit meiner Mutter zum Ausländeramt, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Nach langer Zeit habe ich endlich eine unbefristete bekommen. Was auch anstrengend mit zunehmendem Alter wurde, dass ich mich nicht ausweisen konnte. Ich hatte zwar den Pass, aber keinen Personalausweis. Aber wie denn auch, schließlich bin ich ja hier gemeldet und nicht in meiner Geburtsstadt Olsztyn! Und meinen Pass mit auf Tour zu nehmen, hielt ich für leichtsinnig. Wenn ich ihn verloren hätte, wäre es erneut ein bürokratischer und zudem teurer Aufwand gewesen. In Hamburg im polnischen Konsulat hätte ich ihn beantragen müssen. Gekostet hätte mich das Prachtstück um die 200 Euro. Es gab auch Phasen, da habe ich nicht zugegeben, dass ich aus Polen komme, mein Vaterland verleugnet. Ich habe wirklich gedacht, dass es ein Nachteil sei, Ausländer zu sein.
Im jungen Erwachsenenalter entschied ich mich, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Es ging leicht, man konnte sie sich quasi kaufen. Ich glaube, es waren um die 120 Euro. Einen Einbürgerungstest oder dergleichen musste ich nicht machen.
Nun war ich eine richtige Deutsche, es war geschafft. Polen war da bereits etwa seit drei Jahren in der EU. Ich bin seit Langem wieder hingefahren. So entdeckte ich neue Dinge beim Reisen und in der alten Heimat. Kein langes Stehen an der Grenze mehr, was sich früher mit dem Reisebus schon bis zu über einer Stunde hinziehen konnte. Die fehlende Passkontrolle empfand ich als sehr angenehm. Auch meine Geburtsstadt hat sich verändert: Super- und Baumärkte, statt kleine Tante-Emma-Läden und Märkte, zierten das Bild. Statt Russisch, was meine Cousine tatsächlich früher gelernt hat, war in den polnischen Schulen Englisch endlich etabliert. Auch Deutsch ist ein beliebtes Unterrichtsfach geworden. Die Menschen sind auch mit der Zeit einfach moderner geworden. Die Landstraßen waren neu geteert und beschildert.
Ich denke schon, dass die Mitgliedschaft in der EU die Infrastruktur des Landes verbessert hat und den Einzug ausländischer Investoren attraktiv gemacht. Der Unterschied zwischen den Ländern erscheint mir nicht mehr so groß wie einst.
Doch auf der anderen Seite gibt es auch Nachteile. An der neuen Bürokratie ist der eine oder andere Pole schon gescheitert. Mein Onkel war ein erfolgreicher Manager bei einer Firma, die Agrarmaschinen und Saatgut verkaufte. Er hat versucht sich selbständig zu machen. Mit Laub und Unterholz aus den Wäldern Polens wollte er Energie gewinnen und diese verkaufen. Als Grund für sein Scheitern gab er an, dass die Vorschriften und die neue Konkurrenz ihn das Geschäft mies gemacht haben. Jetzt lebt er mit seiner Frau in England, wo sie als Zahnärztin arbeitet.
Da wo es eben Vorteile gibt, da wird es auch immer auf der anderen Seite Nachteile geben.
Die Vorteile überwiegen. Ich treffe viele junge, polnische Menschen, die sehr weltoffen sind und sich total für Europa interessieren. Eine neue Generation, die es möglich macht, Kriegsverbrechen und vergangene Konflikte zu reflektieren, aber auch zu verzeihen. Ich bin definitiv der Meinung, dass der Osten und der Westen durch die Aufnahme Polens in die EU zusammengerückt sind. Die Grenzen sind fließend. Und so ist auch die Grenze in meinem Kopf wieder fließender geworden. Ich stehe jetzt hundert prozentig dazu, woher ich komme. Und ich bin stolz auf meine Heimat. Manchmal so stolz, dass ich ab und zu darüber
Joanna Lawrynowicz
Der Europäische Sozialfonds
Von Necla Süre und Joanna Lawrinowitz
Ein Sprachkurs für türkische Frauen, die eine Arbeit suchen; eine Fortbildung für Arbeitslose, die in ihrem vorherigen Beruf keine Arbeit mehr finden; der nachgeholte Hauptschulabschluss für Heranwachsende - Maßnahmen zur Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt. Nur wenige wissen, woher tatsächlich die Mittel für diese Berufsqualifizierungsmaßnahmen stammen.
Das Geld stammt aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Der Europäische Sozialfonds wurde mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 ins Leben gerufen. Seit dieser Zeit schafft er Arbeitsplätze, unterstützt die Menschen durch Ausbildung und Qualifizierung und trägt zum Abbau von Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt bei. Ziel der Europäischen Union ist es, dass alle Menschen eine berufliche Perspektive erhalten. Jeder Mitgliedstaat und jede Region entwickelt dabei im Rahmen eines Operationellen Programms eine eigene Strategie. Damit kann den Erfordernissen vor Ort am besten Rechnung getragen werden.
Nach einem Verteilungsschlüssel zahlen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihren Beitrag in diesen Fonds ein. Die Einteilung der Mittel verläuft nach zeitlich abgegrenzten Förderperioden. In der aktuellen Förderungsperiode im Zeitraum von 2007 bis 2013 werden 75 Milliarden Euro an die Mitgliedsstaaten ausgeschüttet. Davon gehen etwa 26 Milliarden an die Bundesrepublik.
Bremen als das kleinste Bundesland erhält 94 Millionen. „Verglichen mit den Förderperioden zuvor ist das nicht viel“, sagt Thorsten Armstroff unbeeindruckt von der hohen Summe. Thorsten Armstroff arbeitet bei der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in Bremen. Dort ist er als Referent für den Europäischen Sozialfond in der Verwaltungsbehörde zuständig und weiß, wie die ESF-Mittel in der Hansestadt verteilt werden. Für die Fördermittel des ESF können sich Institutionen und Organisationen aus verschiedenen Bereichen bewerben. „In der Regel sind das die öffentliche Verwaltung, Nichtregierungsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Projekte, die im Bereich Beschäftigung und soziale Eingliederung aktiv sind“, erläutert Armstroff. Damit sich die Träger für die Mittel bewerben können, findet vorab eine öffentliche Ausschreibung statt.
Die derzeitig ausgeschriebenen ESF Mittel sollen im Land Bremen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und der sozialen Stadtentwicklung zu Gute kommen. Armstroff hält diese Ausschreibung für besonders sinnvoll. „Es handelt sich um Projekte, in denen die Beschäftigten das Stadtbild verschönern, wie zum Beispiel die Erneuerung eines Spielplatzes und das gerade in den Stadtteilen, wo die Langzeitarbeitslosigkeit am Größten ist“.
Anträge für die Förderung dieser Projekte werden zuerst bei der landeseigenen Gesellschaft „Bremer Arbeit GmbH“ eingereicht. Nach sorgfältiger Auswahl, landen die Unterlagen auf dem Schreibtisch von Thorsten Armstroff.
Generell müssen alle EU-Strukturfondsmittel mit nationalen Mitteln ko-finanziert werden, in der Regel mit 50%. Aufgrund der Haushaltssituation von Bund, Ländern und Kommunen, stehen vor allem für den ESF immer weniger eigene Mittel zur Ko-Finanzierung zur Verfügung. Daher sind die Bundesländer seit längerer Zeit dazu übergegangen, die ESF-Mittel mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu ko-finanzieren, das bedeutet, dass die staatlichen Transferzahlungen, die Arbeitslose erhalten (Arbeitslosengeld) für die Zeit, die sie an einem ESF-Projekten (Beschäftigung, Qualifizierung) teilnehmen, als Ko-Finanzierung der ESF-Mittel genutzt werden. Nachteil für die Bundesländer: Sie müssen ihre ESF-Programme eng an die Förderpolitik der Bundesagentur für Arbeit koppeln.
Die Verantwortung mit so einem hohen Budget umzugehen, kann manchmal sehr bedrängnisvoll sein, denn das vorhandene Geld muss ausgegeben werden, wie Thorsten Armstroff erzählt. „Verbrauchen wir das Budget nicht, besteht die Gefahr, dass die Europäische Kommission uns unterstellt, es sei kein Bedarf dafür da und deshalb im nächsten Jahr dementsprechend weniger Geld zur Verfügung stellt.“
Daher kommt es nicht vor, dass die Bundesländer es nicht schaffen, das Geld auszugeben.
Doch gerade die europäischen Länder, die durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise am stärksten betroffen sind (südosteuropäische Länder) haben große Probleme, die zur Verfügung stehenden EU-Strukturfondsmittel auszugeben, wie Thorsten Armstroff sagt. Gründe hierfür, meint er, wären unter anderem die fehlenden Strukturen (Arbeitsverwaltung, Wirtschaftsfördergesellschaften, Bildungsträger etc.), die man für die Umsetzung benötigt. „Um die Vorgaben zur Umsetzung von EU-Strukturfondsmittel alle einhalten zu können, benötigen neue Mitgliedstaaten oft Jahre der Anpassung“ so Thorsten Armstroff .