Europapolitik aus Sicht der Bürger
Von: S.Gersonde, W. Plasse
Rund 60 Jahre nach Gründung der Europäischen Union umfasst diese 27 Mitgliedsstaaten mit rund 500 Millionen Einwohnern. Am Sitz in Brüssel fallen Entscheidungen, die auch auf Länderebene große Bedeutung tragen: In Form der Wirtschaft, Politik oder Umwelt betrifft die EU demnach uns alle. Wir haben den Redakteur und so genannten „Chef vom Dienst“ der taz Nord zum Gespräch gebeten. Klaus Wolschner stand Rede und Antwort zur Frage: „Wen interessiert denn überhaupt Europa?“
• Zur Person Klaus Wolschner
Klaus Wolschner ist im Jahre 1951 geboren und studierte Physik, Geschichte und Wirtschaft in Heidelberg, Paris und Bremen. Direkt nach dem Studium 1979 begann er seine Karriere bei der taz. Nebenbei unterrichtet er heute als Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen das Seminar „Politik & Medien“. Wolschner selbst behauptet, die taz habe ein starkes Auslandsinteresse, sie sei allerdings europaskeptisch und bediene Themen der Europapolitik nur gelegentlich.
• Ist-Situation
An einer eigens durchgeführten Umfrage konnten wir schon zu Beginn feststellen, dass das Interesse der Bremer Hochschulstudenten in die europäische Politik eher gering ausfällt. Gründe nannten die Befragten direkt mit: Ihnen fehle beispielsweise der Regionalbezug oder die handfesten Fakten aus europapolitischen Themenfeldern. Außerdem könne sich kaum einer mit der EU oder einzelnen Personen identifizieren, da ein klarer Repräsentant fehle. Wolschner ergänzt die Aufzählung der Studierenden mit der langen Laufzeit der Verfahren und den länderspezifischen Traditionen, an denen die Bürger festhalten würden.
An einem Beispiel werden die Begründungen deutlicher: Der Beschluss über die Feinstaub-Grenzwerte und die Einführung der so genannten Umweltzone geschah schon 2007 in Brüssel, allerdings sprach damals in Deutschland keiner davon. Erst als die Regeln im Januar 2009, speziell in Bremen, eingeführt wurden, polarisierte das Thema plötzlich. Dass bis 2015 nun weitere Verschärfungen in Kraft treten sollen, scheint gerade niemand zu wissen. Politik auf EU-Ebene ist also nur dann interessant, wenn sie die Menschen selbst betrifft und klare Fakten liefert. Die Frage „Was bedeutet dieser Entschluss für mich persönlich?“ stelle sich jeder, meint Wolschner. „Menschen sind von Grund auf egoistisch, das ist ganz natürlich“, sagte er in unserem Gespräch. Außerdem spiele Europa an sich auch gar keine Rolle. Das sei eine Strukturveränderung in der Politik, die den Medien nicht gut tut beziehungsweise erst gar nicht für sie gedacht ist. Wolschner selbst findet das schade. Er würde sich mehr Interesse und Bemühungen wünschen.
• Soll-Situation
Um Wolschners Wunsch und dem vieler europäischer Politiker nach mehr Interesse
nachkommen zu können, muss aber viel passieren: „Europa funktioniert so nicht. Die verschiedenen Abgeordneten müssen endlich auf eine gemeinsame politische Welle aufspringen und nicht weiter ihre eigene Politik machen“, schlägt Wolschner vor. Außerdem hält er eine repräsentative Figur für sinnvoll: „Wie die Queen von England.“
• Bemühungen
Als professionelle Meinungserhebung zum Thema gilt die Eurobarometer-Umfrage, die im Auftrag der Generaldirektion „Information, Kommunikation, Kultur, Audiovisuelle Medien“ der Europäischen Kommission durchgeführt wird. Die Umfrage wird getätigt, in dem ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung einen gleichlautenden Fragebogen bekommt. Je EU-Mitgliedsland sind dies circa 1000 Personen, sodass im Jahre 2010 über 30.000 Menschen befragt wurden. Sinn dieser Erhebung ist zum einen, das Bewusstsein der Bürger für Europapolitik zu bestärken und zum anderen, den Verantwortlichen Aufschluss über mögliche, verbesserungswürdige Faktoren zu geben. Der Fokus des Eurobarometers liegt des Weiteren auf der Analyse der Berichterstattung von Seiten der Medien, die sich laut Wolschner schließlich stärker bemühen sollten.
Doch das Ergebnis ist auch hier seiner Meinung nach erschütternd: Einerseits sagen die EU-Bürger laut Barometer, sie fühlen sich unzureichend über EU-politische Themen informiert, antworten aber auf die Frage nach der Berichterstattung der Medien hauptsächlich mit „ausreichend“. Deutlich wird hierbei demnach erneut, dass das Interesse gar nicht erst da zu sein scheint. Der Vertrag von Lissabon, die Europawahlen 2009 und die Maßnahmen gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise, haben bei den Befragten allerdings für Interesse gesorgt. Wolschner meint: „Das ist ein guter Anfang.“
• Und jetzt?
Kommunikation scheint auch auf diesem Gebiet der Schlüssel zu sein. Als positives Beispiel, dem Menschen Europa näher zu bringen, geht Helga Trüpel voran. Regelmäßig hält die Europaabgeordnete der Grünen die Veranstaltungsreihe „Bremen in Europa“ ab. Der Fokus ihrer Arbeit besteht darin, die Verbindungen zwischen Bremen und Europa deutlich zu machen. Damit geht sie auf die Forderung der eingangs befragten Studierenden ein, Europapolitik zu regionalisieren. Und sie geht mit vielen kleinen Bemühungen einen großen Schritt in Richtung eines politikengagierten Landes.
Sonntag, 16. Oktober 2011
Wen interessiert Europa?
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