Mittwoch, 20. Mai 2009

Wie bürgernah oder bürgerfern ist die Europäische Union?

Zu kompliziert, intransparent, zu weit weg – geht es um die Nähe zu ihren Bürgern, dann kommt die EU selten gut weg. Sowohl Umfragen als auch die Wahlbeteiligung bei Europawahlen zeigen: Die EU ist irgendwie nicht sexy. Laut dem Eurobarometer empfinden 56 Prozent der Menschen die Themen der EU als zu komplex und deshalb interessieren sie sich dafür auch nicht.

Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken hat die EU-Kommission ein sogenanntes Weißbuch mit Vorschlägen und Methoden zur europäischen Kommunikationspolitik erarbeitet. Mit diesen Grundsätzen soll das Desinteresse vieler Bürger verringert werden. Das Weißbuch beinhaltet folgende sieben Punkte:
  • Verbesserung des Austauschs in der politischen Bildung und die Entwicklung gemeinsamer Unterrichtsmaterialien
  • digitale Vernetzung der europäischen Bibliotheken
  • Schaffung neuer Begegnungsstätten für die Europäer
  • Ausweitung der Programme für Besuche von Bürgern bei den Institutionen
  • Ergänzung des EU-Internetangebots durch Online-Foren
  • Überprüfung der Mindeststandards für Konsultationen in Hinblick auf eine ausgewogenere Vertretung der Interessengruppen
  • Veranstaltung gemeinsamer offener Diskussionen, auf denen die drei großen Institutionen Fragen aus der Öffentlichkeit beantworten.
Auch viele Abgeordnete des Europäischen Parlaments bemühen sich um mehr Nähe zu den Bürgern. Auf unsere Fragen hierzu antwortete die EU-Abgeordnete Dr. Helga Trüpel (siehe Foto rechts) von den Grünen folgendermaßen:

Wie bürgernah ist Ihrer Meinung nach die EU?

Bürgernahe Politik entsteht, wenn auf transparente Art und Weise Entscheidungen getroffen werden, die für die Menschen nachvollziehbar sind. Da das politische System der Europäischen Union sehr komplex ist, müssen große Anstrengungen unternommen werden, um die Teilhabe der Menschen an den Prozessen zu garantieren.

Eine wichtige Grundlage hierfür ist der Lissabon-Vertrag. Für eine demokratischere EU muss dieses Verfassungswerk ratifiziert werden.

Wie erreichen Sie als Abgeordnete Bürger und welche Kanäle nutzen Sie hierfür?

Als Abgeordnete informiere ich auf meiner Homepage über aktuelle politische Entwicklungen. Zudem nutze ich Facebook und Twitter, um auf Neuigkeiten aufmerksam zu machen.

Am wichtigsten ist jedoch der direkte Kontakt mit den Bremerinnen und Bremern: Ich bin regelmäßig bei Terminen zu Gast oder lade selbst ein zu Diskussionsveranstaltungen. Hier bietet sich mir die Möglichkeit, über meine Arbeit zu berichten und den Menschen zu erklären, wie EU-Politik in Bremen wirkt. Über meine Büros in Bremen und Brüssel bin ich zudem immer für direkte Anfragen erreichbar.

Wo sehen Sie Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten, um die Akzeptanz der EU zu stärken?

Zu vielen Menschen fehlt ein direkter Bezug zu europäischer Politik, was zum Teil daran liegt, dass aktuelle Themen auf EU-Ebene fast keine Rolle in den nationalen Medien spielen. Das muss sich ändern! Aber auch die Akteure im politischen System müssen kontinuierlich daran arbeiten, europäische Politik greifbar und verständlich zu machen. Eine Akzeptanz der EU erwächst nicht allein aus einem gut funktionierenden Binnenmarkt, sondern aus dem Bewusstsein, dass man in einer Wertegemeinschaft lebt, die neben ökonomischen Vorteilen vor allem kulturelle Bereicherung bietet.

Im Rahmen der Vorlesung erklärte der Vorsitzende der Europa-Union, Hermann Kuhn: „Für mich ist Bürgernähe gleichzusetzen mit Bürgerrechten.“ Ganz vorne auf seiner Wunschliste steht deswegen ein stärkeres Parlament in der EU – ein Punkt, der im Reformvertrag auftaucht. Genauso ist ihm das Recht auf Bürgerinitiativen wichtig. Auch dieser Punkt findet sich im Reformvertrag; es ist das sogenannte Bürgerbegehren. Wer eine Millionen Unterschriften zu einem bestimmten Thema aus verschiedenen EU-Ländern sammelt, kann damit die Kommission zwingen, einen Vorschlag zur Änderung von EU-Recht vorzulegen. Kurz gesagt: Wer eine Millionen Stimmen sammelt, was bei 491 Millionen EU-Einwohnern gerade mal 0,2 Prozent sind, kann Themen auf die Agenda der Kommission bringen und so an der Gesetzgebung teilhaben. Ein direktdemokratisches Mittel. (Auch das Bürgerbegehren ist im Reformvertrag verankert.) das ist doppelt.

Hermann Kuhn ist einer von 35 Bremern, die sich im Verein „Europa Union“ für Brüssel stark machen. „Wir sind ein echter Bürgerverein“, erzählt er. Die schon 1947 in Syke gegründete Europa Union gehört zum Dachverband der Unabhängigen Europäischen Föderalisten und agiert überparteilich.

(Text: Immo Maus und Wiebke Harms)

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