Mittwoch, 18. August 2010

Frau Dr. Uzuner zur Zypernfrage

Ein Beitrag von Can, Nasir und Till

Nach wie vor stellt die Zypern-Frage eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem EU-Beitritt der Türkei dar. Frau Dr. Uzuner glaubt, dass die EU mit der Aufnahme Südzyperns „einen der eklatantesten Fehler“ begangen hat, denn „Zypern sitzt jetzt in der privilegierten Situation immer nein sagen zu können.“ Im Gegensatz zu den Mehrheitsentscheiden in der EU Gesetzgebung ist im Beitrittsprozess Einstimmigkeit erforderlich, jedes Mitgliedsland hat ein Vetorecht.

Dr. Sabine Uzuner bemängelt vor allem, dass die Aufnahme Südzyperns in die EU kurz auf das scheitern des Annan-Plans 2004 erfolgte. Damals wurde sowohl in Nord- als auch in Südzypern ein Referendum über die Wiedervereinigung der Insel abgehalten. Nordzypern stimmte zu, doch in Südzypern lehnte die breite Mehrheit den Entwurf der UN ab. Einen Monat später wird die Republik Zypern, also der Südteil der Insel in die EU aufgenommen. Dr. Uzuner: „Also die wurden im Prinzip belohnt für diese Ablehnung.“

Dr. Sabine Uzuner sagt, sie selbst habe damals große Hoffnungen in den von Kofi Annan initiierten Friedensprozess gehabt. Dieser sah vor, dass die zwei Inselteile weitgehende Autonomie behalten sollten, jedoch mit gemeinsamer Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Währungspolitik.

Entfernt sich die Türkei von der EU?


Am Bosporus weist ein in Stein gemeißelter Mustafa Kemal Atatürk nach Europa. Er ist Sinnbild für eine staatliche Ausrichtung, die bis heute ebenso jedem politischen Sturm trotzte, wie auch der steinerne Mustafa Kemal jedem Unwetter widerstand. Die moderne Türkei des Atatürk, was sinngemäß Vater der Türken heißt, wollte immer nach Europa, das steht außer Frage.
Die EU ihrerseits signalisierte seit je her, dass die Türkei der Staatengemeinschaft beitreten könne, wenn sie denn nur weiter Fortschritte mache, oder später, wenn sie nur ihren Reformkatalog weiter abarbeite.

Doch in jüngster Zeit verändert sich das gewohnte Bild: Lange vorbei sind die Zeiten, in denen Schröder und Chirac die Türkei noch in Sicherheit wiegen konnten, sie sei auf dem besten Weg. Innerhalb der Euro-Staaten schwindet die Unterstützung für den Beitritt.
Gleichzeitig tritt die Türkei immer souveräner auf, verfolgt zielstrebig eigene Politiken. Demonstriert immer öfter, dass sie Regionalmacht mit Führungsanspruch ist. Die Türkei ist gar nicht mehr richtig an der EU interessiert, so scheint es manchmal.

Darüber wundert sich Frau Dr. Sabiner Uzuner nicht. Früher sei für die Türken alles, was aus Europa kam, gut und fortschrittlich gewesen. Man habe europäische Schrift und viele Gesetze übernommen. Habe die Vielehe abgeschafft und sich europäisiert, so Uzuner. Jetzt habe sich der Standpunkt vieler Türken und auch der türkischen Politik geändert. „Die Haltung der EU und der europäischen Öffentlichkeit und auch der Medien hat dazu beigetragen, dass das ein wenig abgekühlt ist.“


Dr. Uzuner: „Ich finde die Privilegierte Partnerschaft ist eine Herabsetzung (…) und das wird auch in der Türkei eindeutig so empfunden.“

Vor allem die aus türkischer Sicht unfaire Darstellung des Zypern Konflikts und demütigende Zurückweisungen von Seiten einiger EU Mitglieder, so zum Beispiel durch Österreich, Frankreich und Deutschland habe eine Wende herbeigeführt. Vor einigen Jahren seien noch über 60% der türkischen Bevölkerung für einen EU Beitritt gewesen, mittlerweile seien nur noch 44% dafür. „Auch ich muss sagen ich habe mich da ein bisschen geändert (…) und ich denke (…) vielleicht verkraftet man eine starke Türkei nicht.“


Dr. Uzuner: „2030 geht man von 90 Millionen Einwohnern aus. Davor hat Europa Angst.“

In der Türkei leben heute 72 Millionen Menschen, im Jahr 2030 könnte die Bevölkerung auf 90 Millionen angewachsen sein, so Uzuner.

Das hat weit reichende Folgen: Schließlich gibt es seit dem Lissabon-Vertrag innerhalb der EU Mehrheitsentscheide. Das heißt, seit Lissabon richtet sich der politische Einfluss jedes Mitgliedslandes in erster Linie nach seiner Bevölkerungszahl. Demzufolge wäre die Türkei ein durchaus mächtiger EU-Mitgliedsstaat - mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung.


Dr.Uzuner: „Europa hat Angst vor dem Islam“

Europa habe aber auch ein Problem damit, dass die Türkei ein islamisches Land sei. Und dass obwohl der Islam in der Türkei gemäßigt gelebt werde.

Dass der Islam in der Türkei im öffentlichen Leben eine andere, eine kleinere Rolle spielt, als in anderen islamischen Ländern, geht zurück auf die Staatsdoktrin des Mustafa Kemal Atatürk. Sie propagiert einen strengen Laizismus. Also eine Trennung von Staat und Religion. Das ist in keinem anderen mehrheitlich islamischen Land so. Schließlich sagt man fast überall im arabischen Raum „Al-Islam hua din wa daula", was soviel heißt, wie „der Islam ist Staat und Religion in einem“. Doch Mustafa Kemal sah den Islamismus als größte Gefahr für seine türkische Republik.

Seit die AKP zum bestimmenden Faktor in der politischen Landschaft der Türkei geworden ist, tobt ein Machtkampf in der Türkei. Die Regierungspartei AKP, die als gemäßigt islamisch gilt, wurde vom Militär schon lange argwöhnisch beäugt. Man warf Tayip Erdogan, dem türkischen Ministerpräsidenten vor, eine schleichende Islamisierung der Türkei erreichen zu wollen.


Dr. Uzuner: „Aus der Sichtweise vieler Türken ist ein gewisser Einfluss des Militärs nicht unbedingt schlecht. Weil das Militär als Garant für Frieden und Freiheit erscheint.“

Schon zu Beginn von Ministerpräsident Erdogans Legislaturperiode drohten die Generäle, die auf Atatürk eingeschworen sind und sich als Bewahrer seines Erbes sehen, mit Putsch – es wäre nicht der Erste gewesen. Schon vier mal hatte das türkische Militär seit 1960 erfolgreich gegen unliebsame, demokratisch gewählte Regierungen geputscht. Was sich nach Militärdiktatur anhört, wurde von vielen Türken zumindest als nötiges Übel hingenommen, wenn nicht sogar gefeiert. Ein Großteil der Bevölkerung hatte Angst, dass ohne einen starken, hart durchgreifenden, laizistischen Staat, die Türkei in den politischen Unwettern des Nahen Ostens untergehen würde. Dass die Türkei womöglich ein zweiter Iran werden würde.

So blieb die Macht der Generäle lange ungebrochen. Es gab ein bestens organisiertes Netz von kemalistischen Zellen in der Türkei, Zellen die jeweils nicht voneinander wussten. Ergenekon wird dieses Netzwerk genannt, dessen Existenz bis vor kurzem strittig war. Mittlerweile aber scheint klar, dass es wohl zumindest etwas in der Art gegeben hat: Seit 2003 werden wieder und wieder hohe Militärs verhaftet – sie alle sollen Teil des Ergenekon Netzwerkes sein.


Dr. Uzuner: „Die Militärs, die Kemalisten, deren Cousins und Onkels auch in den Gerichten sitzen, das ist die Oberschicht. Und die AKP die jetzt von unten kommt, versucht die zu entmachten.“

Das Militär hat bereits an Einfluss verloren. Der Kemalismus und seine Eliten an Bedeutung. Neben Minirock und engen Jeans ist das Kopftuch wieder fest im Stadtbild integriert. Und selbst die Frau des türkischen Präsidenten Abdullah Gül trägt Kopftuch, nach kemalistischem Verständnis eine Unmöglichkeit an sich.
Die demokratisch gewählte Partei AKP hat es geschafft die alten Strukturen aufzubrechen. Sie hat einen moderaten Islamismus wieder salonfähig gemacht. Nicht mit Gewalt, sondern mit Geduld und Zurückhaltung. Und mit der Unterstützung eines Großteils der einfachen Bevölkerung.

Die Einen würden das, was gerade in der Türkei passiert, eine demokratische Erneuerung nennen, die Anderen ein stilles, langsames zu Grabe tragen des Kemalismus. Der Doktrin die westliche Freiheiten und Demokratie bis vor kurzem hatte beschützen können. Jedenfalls endet die Bevormundung des einfachen Volkes durch die kemalistischen Eliten. Das ist ganz im Sinne der EU, schließlich kann man keinen Staat aufnehmen, der hin und wieder mal Militärdiktatur ist. Aber wenn sich die Türkei von ihrem kemalistischen Erbe emanzipiert, heißt das auch, dass die Europa Frage wieder ein Stück weit offen ist. Schließlich ist man in Ankara oftmals durchaus anderer Ansicht, als in Brüssel. Man hat Gestaltungswillen und auch die Möglichkeit zu gestalten. Deshalb ist die Türkei nicht mehr an der EU Mitgliedschaft interessiert, nicht mehr um jeden Preis: Die EU Mitgliedschaft ist nicht mehr quasi-Staatsdoktrin.

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