Zur Europäischen Identität
Von Joanna Lawrynowicz
Ich bin in Polen geboren. Meine Eltern sind Ende der Achtziger Jahre nach Deutschland gekommen. Sie haben im Vergleich zu den meisten Polen, die in Deutschland leben, keine deutschen Vorfahren. Sie sind vor dem Kommunismus geflohen. Damals war ich zwei Jahre alt. Ich habe mich gut integriert, was ich zum Beispiel von meinem Vater weniger sagen kann.
Ich habe die Sprache gelernt, einen anständigen Schulabschluss gemacht und einen Beruf erlernt. Jetzt studiere ich.
Ich hatte einen polnischen Pass, da ich ja auch polnische Staatsbürgerin war. Als Kind war es egal. Doch dann fing es an, irgendwie nervig zu werden. Ich wollte mir als Jugendliche ein bisschen dazu verdienen. Bei den Arbeitgebern hieß es dann: „Ich brauche eine Arbeitserlaubnis von Ihnen“.
Ich musste ständig mit meiner Mutter zum Ausländeramt, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Nach langer Zeit habe ich endlich eine unbefristete bekommen. Was auch anstrengend mit zunehmendem Alter wurde, dass ich mich nicht ausweisen konnte. Ich hatte zwar den Pass, aber keinen Personalausweis. Aber wie denn auch, schließlich bin ich ja hier gemeldet und nicht in meiner Geburtsstadt Olsztyn! Und meinen Pass mit auf Tour zu nehmen, hielt ich für leichtsinnig. Wenn ich ihn verloren hätte, wäre es erneut ein bürokratischer und zudem teurer Aufwand gewesen. In Hamburg im polnischen Konsulat hätte ich ihn beantragen müssen. Gekostet hätte mich das Prachtstück um die 200 Euro. Es gab auch Phasen, da habe ich nicht zugegeben, dass ich aus Polen komme, mein Vaterland verleugnet. Ich habe wirklich gedacht, dass es ein Nachteil sei, Ausländer zu sein.
Im jungen Erwachsenenalter entschied ich mich, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Es ging leicht, man konnte sie sich quasi kaufen. Ich glaube, es waren um die 120 Euro. Einen Einbürgerungstest oder dergleichen musste ich nicht machen.
Nun war ich eine richtige Deutsche, es war geschafft. Polen war da bereits etwa seit drei Jahren in der EU. Ich bin seit Langem wieder hingefahren. So entdeckte ich neue Dinge beim Reisen und in der alten Heimat. Kein langes Stehen an der Grenze mehr, was sich früher mit dem Reisebus schon bis zu über einer Stunde hinziehen konnte. Die fehlende Passkontrolle empfand ich als sehr angenehm. Auch meine Geburtsstadt hat sich verändert: Super- und Baumärkte, statt kleine Tante-Emma-Läden und Märkte, zierten das Bild. Statt Russisch, was meine Cousine tatsächlich früher gelernt hat, war in den polnischen Schulen Englisch endlich etabliert. Auch Deutsch ist ein beliebtes Unterrichtsfach geworden. Die Menschen sind auch mit der Zeit einfach moderner geworden. Die Landstraßen waren neu geteert und beschildert.
Ich denke schon, dass die Mitgliedschaft in der EU die Infrastruktur des Landes verbessert hat und den Einzug ausländischer Investoren attraktiv gemacht. Der Unterschied zwischen den Ländern erscheint mir nicht mehr so groß wie einst.
Doch auf der anderen Seite gibt es auch Nachteile. An der neuen Bürokratie ist der eine oder andere Pole schon gescheitert. Mein Onkel war ein erfolgreicher Manager bei einer Firma, die Agrarmaschinen und Saatgut verkaufte. Er hat versucht sich selbständig zu machen. Mit Laub und Unterholz aus den Wäldern Polens wollte er Energie gewinnen und diese verkaufen. Als Grund für sein Scheitern gab er an, dass die Vorschriften und die neue Konkurrenz ihn das Geschäft mies gemacht haben. Jetzt lebt er mit seiner Frau in England, wo sie als Zahnärztin arbeitet.
Da wo es eben Vorteile gibt, da wird es auch immer auf der anderen Seite Nachteile geben.
Die Vorteile überwiegen. Ich treffe viele junge, polnische Menschen, die sehr weltoffen sind und sich total für Europa interessieren. Eine neue Generation, die es möglich macht, Kriegsverbrechen und vergangene Konflikte zu reflektieren, aber auch zu verzeihen. Ich bin definitiv der Meinung, dass der Osten und der Westen durch die Aufnahme Polens in die EU zusammengerückt sind. Die Grenzen sind fließend. Und so ist auch die Grenze in meinem Kopf wieder fließender geworden. Ich stehe jetzt hundert prozentig dazu, woher ich komme. Und ich bin stolz auf meine Heimat. Manchmal so stolz, dass ich ab und zu darüber
Joanna Lawrynowicz
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